Zwei Kaffee und zwei Flaschen Wasser. So viel sind der Bundesregierung manche Kinder in Österreich wert.

Es war eine klassische Boulevard-Meldung im Sommer 2018: Ein chilenischer Tourist wollte seinen Italien-Urlaub mit einer Kaffepause am berühmten Markusplatz in Venedig abrunden, einen Hauch von Dolce Vita im Schatten des Dogenpalasts genießen. Der Schock kam erst beim Bezahlen: Zwei Flaschen Wasser zu je zehn Euro, zwei Häferl Espresso zu je 11,50 – unter dem Strich standen 43 Euro auf der Rechnung. „Na bumm“, denkt man sich berechtigterweise und greift sich auf den Kopf.

Der Tourist aus Chile, er kann einem ein bisschen leid tun. Aber nur ein kleines bisschen. Er hat seine Koffer gepackt, sich in ein Flugzeug gesetzt und ist damit über den Atlantik geflogen. Er hat ein paar Nächte in einem Venediger Hotel geschlafen, dann hat er sich auf einem der berühmtesten Plätze der Welt in ein Straßencafé gesetzt und seine Getränke bestellt, ohne in die Karte zu schauen. Die waren überraschenderweise sehr teuer, er hat sich geärgert und die Rechnung auf Facebook gepostet, was wiederum den Weg auf die Titelseiten in Österreich und auf der ganzen Welt fand.

Doch warum schreibe ich das in unseren Blog? Weil der gleiche Betrag in den letzten Tagen noch einmal durch die Medien geistern durfte. Diesmal leider in einem ernsteren Kontext als dem eines geneppten Touristen in Venedig. Ich will versuchen, es ganz einfach und anschaulich zu erklären: Stellen Sie sich eine Familie in Wien vor, bestehend aus Vater, Mutter und drei Kindern. Die Familie ist vielleicht asylberechtigt, vielleicht lebt sie auch schon seit zehn Generationen in Österreich, das macht hier keinen Unterschied. Vielleicht haben die Eltern ihre Jobs verloren, bekommen jedoch kein Arbeitslosengeld mehr. Vielleicht kann ein Elternteil nicht arbeiten, weil er oder sie chronisch krank oder behindert ist. Vielleicht finden sie keinen Job, obwohl sie lange und eifrig suchen. Vielleicht haben sie auch einen Job, verdienen aber sehr wenig, weil sie nur Teilzeit arbeiten oder in einer schlecht bezahlten Branche sind. Kurz: Die Familie hat kein oder ein sehr geringes Einkommen. Sie bekamen bisher für Vater und Mutter je 647 Euro im Monat und pro Kind 233 Euro an Mindestsicherung. Entweder zur Gänze, oder wenn sie ein Einkommen hat, das darunter liegt, kann sie auf diese Summe aufstocken.

Der Bundesregierung ist das jedoch zu viel. Es ist ihr ein echtes Anliegen, die Mindestsicherung für diese Familie zu kürzen. Das hat keine budgetären Gründe, denn alles, was in Österreich an Mindestsicherung ausbzeahlt wird beträgt in Summe nicht einmal ein Prozent der Sozialausgaben. Die propagierte Einsparung von 40 Millionen Euro entspricht gerade einmal 0,05 des gesamten Staatshaushalts. Nein – es hat keine budgetären Gründe, es geht der Regierung um etwas anderes: Sie wollen die Familie zum Arbeiten bewegen. Sie finden, wenn Familien in Österreich Mindestsicherung beziehen, dann liegt das ja wohl bestimmt daran, dass sie nicht arbeiten wollen. Also muss man „Anreize schaffen“. Und da hatte die Bundesregierung eine gute Idee, sie hat sich gedacht, wir nehmen diesen Familien einfach das Geld für ihre Kinder weg, das muss sie doch bestimmt dazu bewegen, alle bisherigen Hindernisse zu überwinden und doch endlich einen der hochbezahlten, familientauglichen und nur auf die Menschen wartenden Jobs einfach anzunehmen. Also setzt die Bundesregierung ihren Plan einfach um und kürzt das Geld für die Kinder: Für das erste Kind bekommt unsere Familie zwar 215 Euro, für das zweite aber nur noch 129 Euro und für das dritte Kind dann eben zwei Flaschen Wasser und zwei kleine Kaffee am Markusplatz – 43 Euro. Für das ganze Monat. Also 1,43 pro Tag. Und die meinen das ernst.

Jeder und jede einzelne, der diese Zeilen liest, weiß, dass das nicht reicht. Das ist nicht genug zum Leben. Für niemanden. Kein Kind, das in Österreich lebt, hat es verdient, unter diesen Verhältnissen aufwachsen zu müssen. Denn kein Kind kann sich aussuchen, ob seine Eltern arm oder reich, gesund oder krank, gebildet oder ungebildet, fleißig oder faul sind. Doch jedes Kind hat das Recht, in Würde aufzuwachsen und die gleichen Chancen zu bekommen wie alle anderen Kinder. Jedes Kind verdient ein gutes Leben.

Die Bundesregierung sieht das anders und sie sind fest entschlossen. Sie stehen am Podium und grinsen mit ihren fünfstelligen Monatsgehältern in die Kamera. Während sie grinsen, nehmen sie armutsbetroffenen Menschen das Geld für ihre Kinder weg, um sie zum Arbeiten zu zwingen, völlig egal, ob diese Menschen vielleicht schon lange arbeiten aber nicht genug verdienen, ob sie krank oder gesund sind, ob sie vielleicht gar nicht vermittelbar sind – das kümmert sie nicht. Sie pressen bis zu 70.000 Kinder in ein Leben voller Startnachteile, eingeengt durch Armut und Perspektivenlosigkeit. Wer so handelt wie diese Bundesregierung, der schreckt vor nichts zurück. Doch wer so handelt, der wird auch mit unserem Widerstand zu rechnen haben. Jederzeit und überall.

Großdemonstration gegen diese Bundesregierung. 15. Dezember 2018. 14.00, Christian-Broda-Platz, Wien.