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Was Sie sehen, ist blankes Unverständnis in den Augen der Richter/innen. Vor Ihnen steht eine Anwältin des US-Justizministeriums und argumentiert, dass man nicht zwingend Zugang zu Seife, Zahnbürste und Zahnpasta haben müsse, um den gesetzlichen Wortlaut „sicher und hygienisch“ („safe and sanitary“) zu erfüllen. Es geht dabei um Kinder, die in Anhaltelagern („detention centers“) an der mexikanischen Grenze festgehalten werden. Sie wurden von ihren Eltern getrennt, sie müssen mit zig anderen Kindern in einem riesigen Raum schlafen, der die ganze Nach hell beleuchtet ist und haben dazu nur eine Alu-Decke bei sich. Es lohnt sich gar nicht zu zählen, wie viele Kinderrechtsverletzungen in diesem Satz aufgezählt werden: Was in diesen Zentren passiert, ist menschenunwürdig, es ist beschämend, es ist Gewalt. Gewalt, die ein Staat gegen Kinder ausübt. Doch wissen Sie, was es auch ist? Es ist gesetzlich gedeckt.

Dass die Anwältin versucht, ein „kleines“ perfides Detail juristisch zu argumentieren, das verstört einen beim Zusehen. Doch dass in einem Gerichtssaal Wortklauberei über Hygieneartikel betrieben werden kann, offenbart das wahre Problem: Diese Lager werden nicht von einer Schurkenregierung im Hinterland unter dem Mantel des Schweigens betrieben. Sie stehen nicht in Nordkorea oder in Saudi-Arabien und wurden auch nicht von einem autokratischen Despoten im Alleingang errichtet. Wir reden hier vom „land of the free“, vom „leader of the free world“ und vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Eine entwickelte Demokratie mit Gewaltentrennung, unabhängiger Justiz, freien Medien und allem Drum und Dran. Doch all diese großen Werte, die stolzen Institutionen und ausgekügelten Reglwerke verhindern nicht, dass solche Lager stehen.

Er ist dann meistens recht schnell, der sprichwörtliche europäische Zeigefinger: „Das geht nur bei den Amis – Abu Ghraib, Guantanamo, jetzt eben detention centers.“ Doch um sprichwörtlich zu bleiben: Wer Steine über den großen Teich werfen will, darf nicht vergessen, dass auch wir im Glashaus sitzen: Kinder, die in Idomeni in schlammigen Zeltlagern festgehalten wurden, schiffbrüchige Familien, die vor unseren Augen im Mittelmeer ersaufen, während wir die Retter/innen vor Gericht zerren oder Abschiebungen in Kriegsgebiete wie Afghanistan: Nochmals herzliche Gratulation zum Friedensnobelpreis, liebe Europäische Union!

Doch worauf ich hinaus will: All diese Dinge sind und waren von Gesetzen gedeckt. Das ändert aber nichts daran, dass sie Unrecht sind. Wir sind uns wohl alle einig, dass die Apartheid in Südafrika Unrecht war und Nelson Mandela, der gegen sie kämpfte, einer der bedeutendsten Freiheitskämpfer unserer Zeit war. Oder Martin Luther King jr., der für die Gleichberechtigung der african-americans in den USA kämpfte. Was die beiden noch eint? Sie kämpften gegen geltendes Recht. Sie kämpften gegen Gesetze, die von gewählten Repräsentanten beschlossen wurden. Sie kämpften dagegen, weil sie Unrecht waren. Und sie überzeugten Millionen Menschen davon, mit ihnen zu kämpfen.

Was sie damals taten, braucht es heute mehr denn je. Es reicht nicht, sich auf Gesetze und Regelwerke zu verlassen, denn die Demokratie ist nicht perfekt. Das sehen wir an der mexikanischen Grenze ebenso wie im Mittelmeer. Wir sehen es aber auch in Österreich, wenn wir Lehrlinge nach Afghanistan abschieben, weil es das konstant verschärfte Fremdenrecht zulässt. Egal, was das Gesetz sagt, das ist Unrecht. Wer sich auf „Vorschrift ist Vorschrift“ zurückzieht, macht sich so zum Mittäter. Vorschrift ist die fehlende Seife an der US-Grenze, die verhinderte Seenothilfe im Mittelmeer und der Abschiebeflug ins Kriegsgebiet. Machen wir Schluss damit. Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

Widerständige Projekte unterstützen:

Seenotrettung:
Projekt Lifeline
Seawatch
Sea-eye

Menschen vor der Abschiebung schützen:
BürgerInnenasyl (Deutschland)