Es ist wieder diese Zeit des Jahres. Die Blätter fallen, die
Weihnachtslebkuchen stehen im Supermarkt und der Nationalfeiertag steht vor der
Tür. Damit auch die Leistungsschau des Bundesheeres, die uns Kinderfreunden
Jahr für Jahr auf’s Neue ein Dorn im Auge ist.
Und ja, wir verstehen alle Argumente und haben sie schon zur Genüge gehört: Das Bundesheer ist eine wichtige Institution der Republik, beteiligt sich an unzähligen Friedensmissionen, hilft in Katastrophenfällen und präpariert die Piste auf der Streif – alles toll und wichtig. Man wird selbst unter uns Kinderfreundinnen und Kinderfreunden nur ganz wenige finden, die für eine Abschaffung des Bundesheers ohne vergleichbaren Ersatz zum Katastrophenschutz oder zur Beteiligung an Friedensmissionen eintreten.
Um aber zu erklären, warum wir uns rund um den 26. Oktober trotzdem Jahr für Jahr zu Wort melden, muss ich auch historisch ausholen: Die Kinderfreunde wurden 1908 gegründet und haben als Organisation zwei Mal miterlebt, dass der gesamte Kontinent durch Krieg in Schutt und Asche gelegt wurde. Familien wurden zerrissen, Kinder getötet, Mütter und Töchter wurden verschleppt, vergewaltigt oder ermordert, Väter und Söhne kehrten verstümmelt, gebrochen oder gar nicht mehr von der Front zurück nach Hause. Geprägt von diesen schrecklichen Zeiten ist für uns klar, dass es nichts Schlimmeres gibt als Krieg und dass es in erster Linie Kinder sind, die am meisten darunter leiden, wenn Gewalt, Zerstörung und Tod über ein Land rollen. Es kommt nicht von ungefähr, dass Kinder sehr früh und sehr stark ein Bedürfnis nach Frieden in ihrem eigenen Land formulieren, wenn man sie fragt, was ihnen wichtig ist. Wir sind daher auch pädagogisch davon überzeugt, dass man Frieden lernen kann. Krieg und Gewalt ist nicht naturgegeben, Kinder lernen es. Jeden Tag, wenn sie sich umblicken, dann sehen und spüren sie es und nehmen es als Normalität hin, weil diese Dinge allgegenwärtig sind. Im Umkehrschluss wissen wir, dass man auch Frieden lernen kann. Das haben wir uns als Organisation zur immerwährenden Aufgabe gemacht, nicht umsonst ist Frieden einer unserer sechs Grundwerte, die uns Tag für Tag in unserer Arbeit begleiten.
Nach diesem Exkurs kehre ich wieder dazu zurück, warum wir Kinderfreunde jedes Jahr im Oktober verständnislos auf den Wiener Heldenplatz blicken. Denn was kleinsten Kindern hier transportiert wird, ist einfach nur ein Teil der Wahrheit. Klar ist es beeindruckend, wenn große, schwere Maschinen präsentiert. Klar sind Hubschrauber, LKW und Gulaschkanonen irgendwie für Kinder und es ist interessant zu sehen, wie organisationsstark das Heer ist. Doch es fehlt halt einfach ein Teil der Information. Denn wenn am Heldenplatz Schießgerät steht, mit dem die Kinder herumhantieren dürfen, dann muss man ihnen doch sagen, warum man denn überhaupt Schießgerät hat. Wenn ein Panzer über den Ring rollt, dann muss man doch erklären, was aus dem langen Rohr oben rauskommt. Und wenn die Kleine Kinderzeitung eine Sonderausgabe mit dem Bundesheer macht und genau erklärt, wie viele Kugeln in ein Sturmgewehr passen und was ein Magazin ist, dann muss doch auch erklärt werden, warum diese Kugeln überhaupt aus dem Sturmgewehr geschossen werden. Ich kann das an dieser Stelle übernehmen: Es geht darum, Menschen zu verletzen oder zu töten. Die Bomben, Granaten und Gewehre sind dazu da, Panzerungen zu durchbrechen, Fleisch zu durchbohren, Menschen umzubringen oder zu verstümmeln. Ein Sturmgewehr zum Beispiel hat keinen anderen Zweck als das. Es ist ein Gerät, das ausschließlich zum Verletzen und Töten von Menschen gebaut wird.
Aber hey, wir verstehen, dass man das Kindern nicht gerne erzählen will. Es ist schwere Kost, das ist mir bewusst. Doch es ist eben die Wahrheit. Ein Militär ist nicht nur Gulaschkanone, Katastrophenschutz und Pistenpräparation, es ist das Vorbereitetsein auf den Krieg. Die Darstellung als handlungsfähige Organisationseinheit, in der junge Menschen trainieren und der Bevölkerung helfen, ist ein wichtiger Teil des Heeres. Doch er ist nicht der einzige. Die Realität ist eben nicht „Fortnite“, wo man online herumläuft und die getroffenen Gegner blutlos umfallen und von vorne beginnen können, sondern „Soldat James Ryan“ mit abgetrennten Gliedmaßen, durchschossenen Knochen und verblutenden Soldaten.
Und wenn man sich am 26. Oktober auf den Heldenplatz stellt, sich direkt an Kinder richtet und ihnen zeigen und erzählen will, worum es beim Militär geht, dann bitteschön die ganze Wahrheit – oder man lässt es ganz bleiben. Dann könnte man die gesamten Ressourcen der Heeresschau dafür nutzen, Kindern vom Frieden zu erzählen, ihnen zu vermitteln, was es dazu braucht und was wir gemeinsam tun können, um ihn auf der ganzen Welt zur Realität werden zu lassen. Und Hand auf’s Kinderfreunde-Herz: Wir wären für zweiteres.