Nicht ist älter als der neue Stil von gestern: Das türkis-blaue Projekt ging mit einem lauten Knall zu Ende und wir Kinderfreunde sind darüber erleichtert. Das liegt nicht nur an den Vorkommnissen der letzten Tage und Wochen, in denen es sehr viel um Korruption und Transparenz ging. Für uns geht es auch um die letzten 17 Monate, in denen ein unvergleichbarer Kurs gegen die Interessen von Kindern und Familien gefahren wurde. Statt Überlegungen anzustellen, wie man die Lebensbedingungen von Menschen verbessern kann, wurde ein knallhartes Programm gefahren: Auseinanderdividieren, Kürzen, Bestrafen, an den Rand drängen.

Manche vermuten hinter der Abwahl der Regierung ein parteitaktisches Manöver, doch wenn man sich die Bilanz von Sebastian Kurz und seinem Team ansieht, war es absolut richtig und gut für das Land, ihnen das Misstrauen auszusprechen. Die Top 10 Gründe dafür haben wir hier gesammelt:

Indexierung der Familienbeihilfe

Schon vor der Wahl hat Sebastian Kurz angekündigt, eine „Unfairness“ zu beseitigen: Bisher hatten EU-Bürger*innen, die in Österreich arbeiten und die gleichen Steuern bezahlen wie alle anderen, Anspruch auf Familienbeihilfe in der gleichen Höhe wie alle anderen (114€ bis 165€ im Monat). Egal wo die Kinder lebten. Ab sofort wird indexiert: Lebt das Kind in Bulgarien, bekommt es weniger als wenn es in Deutschland wohnt, je nach Durchschnittseinkommen im jeweiligen Land. Für ein bulgarisches Kind werden dann zum Beispiel nur noch 51€ bis 74€ ausbezahlt. Einsparen soll das nach Angaben der Regierung 114 Millionen Euro. Ob das wirklich einzusparen ist, steht in den Sternen. Sicher ist nur, dass es niemandem besser gehen wird, nur weil man der slowakischen Pflegerin oder dem ungarischen Kellner Teile seiner Beihilfen wegnimmt. Die Maßnahme dürfte außerdem EU-rechtswidrig sein, ein entsprechendes Vertragsverletzungsverfahren ist ausständig.

 

Kürzung der Mindestsicherung

Mehrkindfamilien gehören sehr oft zu jenen, die besonders armutsgefährdet sind. Das könnte man gezielt bekämpfen oder man macht es wie Türkis-Blau und kürzt besonders bei jenen, die mehrere Kinder haben. Konkret passiert das bei der Mindestsicherung, bei der bisher ein Kinderzuschlag von 233€ ausbezahlt wurde. Geändert hat das die (Ex-)Bundesregierung ab dem zweiten Kind, für jenes gibt es ab sofort nur noch 129€, für das dritte und jedes weitere 43€ (das sind 1,50€ am Tag). Obwohl auch die dritten Kinder genau so viel essen, trinken, Schulmaterial benötigen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben möchten, werden armutsgefährdete Familien weiter unter Druck gesetzt. Warum tut man das? Offiziell, um die Eltern zum Arbeiten zu bewegen. Dass ein großer Teil der Bezieher*innen der Mindestsicherung zwar arbeiten geht, aber so wenig verdient, dass ihr Gehalt aufgestockt werden muss, wird dabei ignoriert. Um Geld kann es auch nicht gehen, maximal 40 Millionen Euro erhofft man sich dadurch an Einsparung, gerade einmal 1% der Sozialausgaben. Würden Sie dafür 70.000 Kinder weiter in die Armut drängen? In einem der reichsten Länder der Welt? Wir nicht.

 

Einführung von Deutschklassen

Wenn selbst der zuständige ÖVP-(Ex-)Bildungsminister nicht mehr von den Maßnahmen im Bildungsbereich überzeugt ist, ist praktisch alles gesagt: Es geht um die Deutschklassen, die Heinz Faßmann als „politische Entscheidung“ bezeichnete. Das Gegenteil davon wäre eine „richtige Entscheidung“. Praktisch jede wissenschaftliche Forschung der letzten Jahre zeigt, dass es nicht zu besserem Lernerfolg führt, wenn man die deutschsprachigen Kinder von jenen trennt, die noch nicht ausreichend gut Deutsch sprechen. Vor allem, wenn gleichzeitig die Ressourcen für Sprachförderung und Integration gekürzt werden. Beides hat Türkis-Blau getan und der Erfolg ist überwältigend: In Niederösterreich zum Beispiel haben nur knapp vier Prozent der Schüler*innen aus den Deutschklassen nach dem Semester den Übertritt in die Regelklassen geschafft. Das ist vernichtend und ernüchternd, eines ist es aber nicht: überraschend. Kinder, die in riesigen Gruppen unterrichtet werden und dabei unter sich bleiben, lernen schlechter, als wenn sie im täglichen Kontakt mit jenen Kindern wären, die fließend Deutsch sprechen. Und noch besser lernen sie es, wenn es ausreichend Lehrer*innen gibt, die ihnen dabei helfen. Das zu wissen, wäre keine Leistung.

 

Ziffernnotenpflicht in der Volksschule

„Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ reimt sich zwar und ist ein Zitat aus einem klassischen Märchen, es ist deswegen noch lange kein guter Leitspruch für Bildungspolitik. Die (Ex-)Bundesregierung scheint sich jedoch genau jenem Motto verschrieben zu haben: Statt Kinder in ihren Stärken zu fördern und ihre Schwächen auszugleichen, verstehen sie Schule als Schubladisierungseinrichtung. Sie trennen die „guten“ von den „schlechten“, so früh sie nur können. Sie führen verpflichtende Ziffernnoten ein, um schon die Jüngsten abstempeln und schubladisieren zu können. Schon jetzt stehen 9-Jährige massiv unter Druck, wenn das Halbjahreszeugnis der vierten Klasse naht. Es ist das wichtigste Zeugnis ihres Lebens, weil es entscheidet, ob es mit dem Töpfchen oder dem Kröpfchen weitergeht. Dieser (Ex-)Regierung gefällt das so gut, dass sie das nicht nur den 9-Jährigen zumuten will. Deshalb ist es jetzt auch wieder verpflichtend vorgeschrieben, dass schon 6- und 7-Jährige eine Ziffer von 1 bis 5 hingeknallt bekommen. Damit keine Missverständnisse aufkommen können und alle Kinder von Anfang an wissen, wo sie hingehören. Kein Platz für Graustufen, nur noch schwarz oder weiß, brav oder schlimm, gut oder schlecht. Das ist vorgestrige Pädagogik mit langem grauen Bart und beinharte Politik gegen die Entfaltung der Kinder. Leider ist das kein Märchen, sondern die Realität. Und weit und breit kein Happy End in Sicht.

 

Strafverschärfung für Schulschwänzen

Haben Sie schon mal unentschuldigt in der Schule gefehlt? Dafür müssen Sie sich nicht schämen, die meisten haben das getan. Manchmal als Akt der Rebellion, manchmal, weil sie vor dem Unterricht fliehen wollten. Eine Sache ist dabei sicher: Kein einziges schulschwänzendes Kind hat sich darüber Gedanken gemacht, wie hoch die Strafen dafür sind. Bisher war die Vorgangsweise ein „Fünf-Stufen-Plan“: Gespräche mit den Eltern, Einbeziehung der Schulpsycholog*innen, Verständigung der Jugendwohlfahrt und als letztes Mittel eine Geldstrafe. Dass die Türkis-Blaue (Ex-)Bundesregierung bei Kindern nicht besonders zärtlich vorgeht, ist inzwischen bekannt und folgerichtig gibt es statt Gesprächen und Differenzierung einfach den Holzhammer: Wer mehr als drei Tage fehlt, bekommt sofort ein Verfahren angehängt, Strafe bis zu 440 Euro. Das löst kein einziges Problem, geht nicht auf die Kinder und die dahinterliegenden Probleme ein, ist undifferenziert und ganz ehrlich: Hätte Sie das vom Schwänzen abgehalten?

 

Familienbonus nur für Besserverdienende

„Familienbonus Plus“ – klingt genial. 1.500€ Steuerbonus pro Kind – klingt noch genialer. Dass dafür andere steuerliche Begünstigungen wie die Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten (max. 2.300€ pro Jahr und Kind) oder der Kinderfreibetrag (300€ je Elternteil pro Kind) abgeschafft werden, wird dabei nicht erwähnt. Insgesamt ist der Familienbonus ein Elitenprogramm: Bei zwei Kindern bedeutet es, dass knapp über 40% der Arbeitnehmer*innen den Bonus gar nicht voll ausschöpfen können. Die Reinigungskraft, der Bauarbeiter, der Kellner und die Supermarktkassierin – für sie alle greift der Bonus nicht in voller Höhe und wird mit jedem weiteren Kind geringer. Im Gegensatz dazu bekommt ein gutverdienender Vorstandsvorsitzender für jedes weitere Kind den Familienbonus in voller Höhe – hier wird der Betrag auch nicht mit jedem weiteren Kind geringer, wie zum Beispiel bei der Mindestsicherung. Zur Klarstellung: Niemand ist der Familie des Vorstandsvorsitzenden seine Steuerentlastung neidisch. Aber könnte man diese 1,5 Milliarden Euro nicht besser einsetzen als für ein Steuerentlastungsprogramm für Besserverdiener*innen? Uns würde hier genug einfallen.

 

Nichteinführung des Abbiegeassistenten für LKW

„Haltet mir ganz fest die Daumen, wir werden uns alle ganz fest anstrengen“ sagte (Ex-)Verkehrsminister Norbert Hofer zu einer Gruppe Kinder, die ihm knapp 70.000 Unterschriften zur Einführung eines Abbiegeassistenten überreichten. Anlass war der Tod des neunjährigen Henry, der in Wien von einem abbiegenden LKW überfahren wurde. Heraus kam: Nichts. Hofer und die gesamte Regierung haben sich den Interessen der Logistikunternehmen gebeugt, diese waren ihnen wichtiger als die Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr. „Zu fehleranfällig“ seien die Systeme, sie würden auch manchmal bei abgestellten Fahrrädern oder Hydranten ausschlagen. Ganz abgesehen davon, dass ein LKW auch einen Hydranten beim Abbiegen nicht übersehen sollte, so sagen wir: Lieber einmal zu oft gepiepst und nachgeschaut, als ein Kinderleben gefährdet. Die (Ex-)Regierung sieht das anders. Und Norbert Hofer hat den Kindern Versprechungen gemacht, die er dann nicht halten konnte. Vielleicht, weil er sie gar nie halten wollte.

 

Einführung des 12-Stunden-Tags

Ein Tag hat 24 Stunden. Das kann niemand ändern. Was sich ändern kann, ist das Verhältnis davon, wie viele dieser Stunden man arbeiten muss und wie viele man mit seiner Familie verbringen kann. Genau das hat die (Ex-)Bundesregierung getan, indem sie die einseitige Möglichkeit des 12-Stunden-Tags und der 60-Stunden-Woche eingeführt hat. Natürlich nur „freiwillig“ und mit dem Recht zur Ablehnung, aber bitte ehrlich sein: Wie oft lehnt man ab, wenn der*die Chef*in einen längeren Einsatz anordnet? Was bedeutet es für die berufliche Zukunft, wenn man immer der- oder diejenige ist, die ablehnt? Wer wird bei der nächsten Beförderung übersehen und wer ist eher verzichtbar, wenn Mitarbeiter*innen abgebaut werden müssen? Also werden die Dienste einfach ohne viel Widerrede gemacht. Jeder und jede, die Kinder hat, weiß, was es bedeutet, wenn man öfter mal länger in der Arbeit bleiben muss – nämlich, dass man praktisch keine Zeit mit der Familie hat, seine*n Partner*in alleine lässt, alle möglichen Babysitter*innen und Großeltern strapazieren muss und natürlich vor allem, dass die Kinder weniger von ihren Eltern haben. So geht es zwar der Wirtschaft gut, aber den Kindern und Familien ganz und gar nicht.

 

Keine Kinderbetreuungsgeld für Krisenpflegeeltern

Manche Kinder können nicht bei ihren biologischen Eltern leben. Weil es dort für sie gefährlich ist oder weil die Erwachsenen nicht für sie sorgen können. Diese Kinder kommen dann in betreute WGs oder zu Pflegeeltern, die sie dann in den meisten Fällen für ihr restliches Leben wie ihre leiblichen Kinder großziehen. Dazwischen gibt es einen Übergang, der von Krisenpflegeeltern gemanagt wird. Kinder werden zu ihrem eigenen Schutz aus ihrem Umfeld genommen und brauchen für ein paar Tage, Wochen oder Monate ein liebevolles Zuhause, bevor ein permanenter Platz für sie gefunden wird. Diese Krisenpflegeeltern sind ganz normale Menschen, sie bekommen ein kleines Entgelt knapp über der Geringfügigkeitsgrenze und erklären sich dafür bereit, sofort ein Kind bei sich aufzunehmen, wenn das notwendig ist. Toll, dass es diese Menschen gibt. Doch was macht die (Ex-)Bundesregierung? Nach einem Gerichtsentscheid wird diesen Krisenpflegeeltern das Kinderbetreuungsgeld nicht mehr gewährt, weil es erst dann zusteht, wenn die Familie 91 Tage im gleichen Haushalt wohnt. Die (Ex-)Familienministerin versprach im September 2018 hoch und heilig, dass „diese Eltern auch in Zukunft Kinderbetreuungsgeld bekommen sollten, auch wenn sie die Kinder keine drei Monate bei sich haben.“ Alle waren beruhigt, die Vernunft hatte gesiegt. Doch im Jänner 2019 war es damit schon wieder vorbei: Das Geschwätz vom Herbst interessierte die (Ex-)Familienministerin nicht mehr, es sei „fair“, dass Krisenpflegeeltern kein Kinderbetreuungsgeld bekommen, keine Ausnahme, Schluss, aus, Ende. Vernunft war gestern.

 

Abschiebung von Lehrlingen

Versuchen Sie sich vorzustellen, Sie sind ein junger Mensch in einem Land, in dem Sie keine Perspektive haben. Vielleicht herrscht Krieg, Sie leben in Angst, es gibt keine Arbeit und keine Chance auf eine lebenswerte Zukunft. Sie machen sich auf den Weg in ein besseres Leben. Sie schaffen die lebensgefährliche Flucht über den halben Erdball, teilweise über das Meer, zu Fuß und mit Schleppern. Sie kommen nach Österreich, lernen in kurzer Zeit die Sprache und die Kultur besser kennen und werden ausreichend Teil der Gesellschaft, um eine Ausbildung zu beginnen. Sie machen eine Lehre in einer Gegend, in der es für Betriebe oft schwer ist, Lehrlinge zu finden, sie geben alles und Ihre Ausbildner*innen sind mit Ihnen und Ihrer Arbeit zufrieden. Wir würden sagen, das ist ein glänzendes Beispiel gelungener Integration – jeder Mensch, der das geschafft hat, ist ein Gewinn für unser Land. Die (Ex-)Bundesregierung sagt: Nein. Egal, wie gut Sie sich integriert haben, egal wie sehr Sie schon Teil der Gemeinde, des Betriebs, des gesellschaftlichen Lebens wurden – gibt es einen negativen Bescheid, sind Sie abzuschieben. Law and order und so. Dass junge Menschen, die in Österreich Schutz suchen, in Kriegsgebiete wie Afghanistan abgeschoben werden, ist menschlich verwerflich und widerspricht internationalem Recht. Wenn das junge Menschen sind, die es geschafft haben, ein Teil von unserer Gesellschaft zu werden, ist es gleichzeitig auch noch wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch kurzsichtig und dumm. Leider ist es aber auch traurige Realität.