Es gibt Wortmeldungen, die sind einfach nur dahingesagt. Vielleicht hat der Urheber nicht besonders viel nachgedacht, sie sind ihm rausgerutscht und er hat es ganz anders gemeint. Es gibt jedoch auch Sätze, die hört oder liest man und man weiß sofort Bescheid. Es ist zwar nur ein Satz, doch trotzdem ist damit alles gesagt.

Hier ist so einer: „Ich glaube nicht, dass es eine gute Entwicklung ist, wenn immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um zu arbeiten, und in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um zur Schule zu gehen.“ Er ist gerade in aller Munde, dieser Satz – ursprünglich kam er aus dem des Bundeskanzlers. Wir haben versucht, zusammenzufassen, was damit alles gesagt ist und vorab schon ein kleiner Spoiler: Dieser Satz und die Realität sind leider nur entfernte Bekannte.

 

  1.      Der Hintergrund

Warum hat Sebastian Kurz das überhaupt gesagt? Es ging um die Kürzung der Mindestsicherung, die von der Bundesregierung beschlossen wurde. Zur Erinnerung: Die Mindestsicherung wird dadurch vor allem für Familien gekürzt, da der zusätzliche Betrag pro Kind mit jedem Kind sinkt. Die Wiener Stadtregierung hat angekündigt, das nicht umzusetzen, was den Bundeskanzler zur obigen Aussage verleitet hat. Er verfehlt den entscheidenden Punkt damit jedoch recht deutlich und bleibt die zentrale Antwort schuldig: Wenn Kinder in unserem Land unter solchen Bedingungen aufwachsen müssen, was soll es bringen, ihren Familien noch weniger Geld zu geben? Die Mindestsicherung ist wie der Name schon sagt, das Mindeste. Sie ist keine Belohnung und auch kein Anreizsystem. Sie soll Armut verhindern und wer diese Leistung kürzt, treibt nimmt Kinder- und Familienarmut wissentlich in Kauf.

 

  1.      Die Entwicklung

„Immer mehr Familien“ seien in Wien angeblich in der Mindestsicherung und könnten somit ausschlafen, erklärt der Kanzler – doch die Zahlen sagen etwas anderes. Im letzten Jahr ist die Zahl der Bezieher/innen in Wien sogar leicht gesunken (https://derstandard.at/2000096185144/Faktencheck-zur-Mindestsicherung-Zahlen-zum-Drehen-Wenden-und-Empoeren). Die Interpretation, ob dieser falschen Aussage Unwissenheit oder Bösartigkeit zu Grunde liegt, kann ich nur den geneigten Leser/innen überlassen.

 

  1.      Die Leistung

Wer Mindestsicherung bezieht, liegt nicht den ganzen Tag im Bett. Über 70 Prozent sind so genannte „Aufstocker/innen“. Um das in des Kanzlers Worten zu erklären: Diese Menschen stehen in der Früh auf, richten ihren Kindern das Jausenbrot, bringen sie in die Schule, gehen danach in die Arbeit, sind vielleicht den ganzen Tag dort, holen ihre Kinder wieder ab, kochen ein Abendessen und am Abend leben sie immer noch in Armut, weil sie dafür ein Gehalt bekommen, das unter der Mindestsicherung liegt. Dass das ungerecht ist, ist unbestritten. Ein verantwortungsvoller Bundeskanzler könnte dies als Auftrag sehen, Maßnahmen zur Erhöhung der Gehälter zu setzen. Könnte.

 

  1.      Die Verachtung

Wer Mindestsicherung bekommt, dem sind seine Kinder egal? Der bleibt lieber im Bett liegen, als mit ihnen zu frühstücken, mit ihnen die Schultasche zu packen, ihnen eine Jause herzurichten oder sie in die Schule zu begleiten? Das ist das Bild, das der Bundeskanzler dieser Republik von finanziell benachteiligten Menschen hat? Faules Pack, das sich nicht um die eigenen Kinder kümmern kann oder will? Das muss er sein, dieser neue Stil. Denn dass ein Bundeskanzler derart plumpe Klischees bedient, das gab es vorher wirklich noch nie.

 

  1.      Das Politikverständnis

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Politik dazu da ist, das Leben der Menschen besser zu machen. Die Bundesregierung zeigt mit der Kürzung der Mindestsicherung zum wiederholten Mal, dass sie es anders anlegt. Sie bezeichnet es als Fairness, wenn sie einigen Menschen das Leben schwerer macht. Indem sie ihnen die Familienbeihilfe indexiert oder die Mindestsicherung kürzt. In aller Deutlichkeit: Es geht niemandem dadurch besser, wenn es anderen schlechter geht. Was muss man denn für ein Mensch sein, um sich darüber zu freuen, wenn einer anderen Familie die Leistungen gekürzt werden? Das ist doch absurd.

Probleme lösen geht anders: Wer Menschen aus der Abhängigkeit bringen will, muss ihnen Chancen bieten, statt sie mit wirtschaftlichem Druck zu bedrohen. Bildungsangebote, Beteiligungsprojekte, Qualifizierungsmaßnahmen – all das wissen wir aus jahrelanger Erfahrung und es gibt diese Maßnahmen und Programme. Doch genau diese kürzt und beschneidet die Bundesregierung wo sie nur kann und zeigt gleichzeitig voller Verachtung mit dem Finger auf die, die Unterstützung und Hilfe brauchen. Das ist die perfide Realität.

Sebastian Kurz hat also diesen Satz gesagt, und wollte damit ein Bild zeichnen. Von einer ungeliebten Stadt, in der alles aus dem Ruder läuft. Von einem ständig wachsenden Problem. Von sozialer Verwahrlosung, Faulheit und Gleichgültigkeit. Es ist schön zu sehen, dass sich viele gegen solche Aussagen zur Wehr setzen und aufstehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn es war tatsächlich ein Satz, der alles sagt. Zwar nicht über die tatsächliche Lebensrealität von Familien in diesem Land und die Herausforderungen, die ihnen tagtäglich begegnen. Nein, er sagt alles über den Kanzler und seine Regierung und all das, wofür sie steht. Für Empathielosigkeit, soziale Kälte und die Demontage genau jener Errungenschaften, die dieses Land zu einem der wohlhabendsten, lebenswertesten und sichersten der Welt gemacht haben. Auch wenn der Kanzler das nicht offen gesagt hat, so konnten es trotzdem alle laut und deutlich hören. Und je mehr Menschen das hören, desto mehr werden sie diese Regierung auch durchschauen.